Montag, 09. September 2013

Kapitallebensversicherungen: Leistungen können bei Insolvenzgefahr herabgesetzt werden

Sollte die Niedrigzinsphase noch längere Zeit anhalten, so könnte bei sehr kapitalschwachen Versicherungsunternehmen ein "Notfall-Paragraph" im Versicherungsaufsichtsgesetz (§ 89 VAG) zur Wirkung kommen, der die Versicherten hart treffen würde.

Deutschlands Kapitallebensversicherungen kommen durch die niedrigen Zinsen immer stärker in Bedrängnis. Sollte die Niedrigzinsphase noch längere Zeit anhalten, so könnte bei sehr kapitalschwachen Versicherungsunternehmen ein "Notfall-Paragraph" im Versicherungsaufsichtsgesetz (§ 89 VAG) zur Wirkung kommen, den viele gar nicht kennen, der aber eine Leistungskürzung zur Folge hätte. Konkret: Die Versicherungsaufsicht kann von sich aus die vertraglich garantierte Versicherungssumme herabsetzen. Die Versicherungsnehmer müssten aber in der Einzahlungsphase weiter ihre Beiträge in voller Höhe leisten.

Bei drohender Insolvenz: Spezielle Regel im Versicherungsrecht

Die sinkenden Kapitalerträge bergen auf Dauer die Gefahr, dass insbesondere kleinere Versicherer in Zahlungsschwierigkeiten geraten. "Dann tritt ein rechtlicher Fall ein, der vielen noch unbekannt sein dürfte, aber gravierende Konsequenzen haben würde", erklärt André Tittel, Partner der auf Kapitalanlage-, Bank- und Versicherungsrecht spezialisierten Kanzlei Kälberer & Tittel. "Zur Vermeidung einer Insolvenz der Versicherungsgesellschaft kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gemäß § 89 Absatz 2 VAG anordnen, dass die Versicherungsleistungen herabgesetzt werden. Die Versicherten müssen jedoch die Prämien in der bisherigen Höhe weiterzahlen", sagt Rechtsanwalt Tittel.

"Das bedeutet, dass nicht einmal die Versicherungssumme und die Garantieverzinsung wirklich sicher sind", so Tittel weiter. "Es kann sein, dass der Versicherungsnehmer am Ende nur einen Teil der Versicherungssumme ausgezahlt bekommt. Das wäre letztendlich nichts anderes als eine staatlich gebilligte Enteignung der Versicherten. Allen, die für ihre Altersvorsorge ausschließlich auf vermeintlich sichere Kapitallebensversicherungen setzen, könnte am Ende die Altersarmut drohen."

Renditedruck nimmt stetig zu

Maßnahmen, um die Lage zu entschärfen, gab es bereits einige: Der Garantiezins wurde mehrfach gesenkt (zurzeit noch 1,75%); einige Gesellschaften geben schon Policen ohne Garantiezins heraus; die (nicht garantierten) Schlussüberschussbeteiligungen werden teils drastisch gesenkt. Zuletzt sollen laut Medienberichten angeblich sogar mehrere Versicherungsgesellschaften bei der BaFin beantragt haben, weniger von ihren Gewinnen für die Kunden zurücklegen zu müssen, d. h. die Gewinnbeteiligung der Kunden (zeitweise) auszusetzen. Die Bundesregierung hatte die Lebensversicherer 2010 verpflichtet, eine besondere Reserve für die hohen Garantiezinsen aus älteren Policen aufzubauen. Diese Zinszusatzreserve soll sicherstellen, dass die Unternehmen auch noch in einigen Jahren die Ansprüche der Altkunden erfüllen können.

Das Problem der Versicherungen ist klar: Jedes Jahr laufen ältere Anleihen und andere Papiere mit noch hoher Verzinsung (aus früheren Zeiten) aus und der Anteil der niedrig verzinsten Papiere nimmt im Anlagebestand der Versicherungen zu. Zehnjährige Bundesanleihen bringen schon seit längerer Zeit nur noch weniger als zwei Prozent Rendite, während die Versicherer viele Altverträge mit 3,5 oder 4% Garantiezins im Bestand haben.

Halten alle Versicherer die Durststrecke durch?

Sollten die Zinsen allgemein nach oben gehen, würde dies den Druck etwas lindern. Aber niemand weiß, wann die Niedrigzinsphase enden wird und ob die Zinsen dann auch ausreichend hoch steigen werden. Je länger der Druck auf die Erträge bzw. die Renditen der Lebensversicherer anhält, umso größer die Gefahr einschneidender Maßnahmen. Ob alle Versicherungsgesellschaften die "Durststrecke" durchhalten können, wird umso fraglicher, je länger sie andauert.

Auch die Bundesregierung sieht die Probleme: "Das im Wesentlichen unverändert anhaltende Niedrigzinsumfeld stellt nach wie vor eine Herausforderung für Anleger wie (Lebens)Versicherungen, Bausparkassen und Pensionskassen dar", so das Finanzministerium in einer Unterrichtung an den Finanzausschuss.

Die Dimensionen in der Branche sind gewaltig: Insgesamt gibt es in Deutschland rund 90 Millionen Kapitallebensversicherungsverträge; die Lebensversicherer haben rund 740 Mrd. Euro angelegt, das meiste davon in festverzinslichen Wertpapieren.

Pressekontakt:
Dietmar Kälberer

Tel. 030 / 887178-0
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